Es geht um die Wurst

Am 9. März 1522, dem ersten Sonntag der Fastenzeit, brach der Kreis um Huldrych Zwingli demonstrativ das geltende Abstinenzverbot mit einem Wurstessen. Das Wurstessen hat für die Schweizerische Reformation ähnliche Bedeutung wie der Wittenberger Thesenanschlag für Deutschland. Aus diesem Grund darf dieser wichtige historische Moment auch nicht in unserem Drehbuch fehlen. Wir gewähren den Mitglieder des Freundeskreis exklusiven Einblick in das Drehbuch - lesen Sie hier, wie wir das Wurstessen erzählen:
ZWINGLI – DER REFORMATOR
Szene 37 INNEN - DRUCKEREI FROSCHAUER – TAG
Am grossen Tisch der Druckerei Froschauer sitzt eine Gruppe von Reformatoren beisammen - neben Zwingli sind dies unter anderem Leo Jud, zwei Chorherren, Felix Manz und Konrad Grebel. Sie haben handschriftliche Blätter und Schreibutensilien vor sich ausgebreitet und reden durcheinander, als Christoph Froschauer stolz mit dem ersten Druck eines Flugblattes zu ihnen kommt.
Im Hintergrund arbeiten unterdessen mehrere Druckergesellen an der grossen Druckerpresse.
FROSCHAUER
(liest schnell und halblaut)
«...Wenn man ihre rotsamtenen Mäntel schüttelt, fallen Dukaten und Kronen heraus, und wenn man sie auswringt, fliesst das Blut von deinem Bruder, Vater und Freund heraus... Die gefrässigen Wölfe...»
(zu Zwingli)
Nicht schlecht! - Wieviele brauchst du?
ZWINGLI
Eines für jeden Zürcher.
FROSCHAUER
(lacht)
Witzbold...
Zwingli blickt nun schelmisch zu Froschauer.
ZWINGLI
Und? Alles bereit?
Froschauer nickt vielsagend.
FROSCHAUER
Agnes!
Eine attraktive junge MAGD betritt den Raum. Sie trägt eine Platte mit zwei grossen, prallen Würsten auf ihren Händen und platziert diese in der Mitte des Tisches. Die Druckergesellen halten verwundert inne und starren zur Tischrunde hinüber.
FROSCHAUER
(zu seinen Gesellen)
Ihr klagt doch schon seit Wochen, dass ihr vom «Mus» allein nicht satt werdet. Los, kommt!
DRUCKERGEHILFE
(verstört)
Es ist Fastenzeit.
FROSCHAUER
Genau darum geht es.
ZWINGLI
Es gibt keine Fastenzeit.
DRUCKERGEHILFE
Was, gibt es nicht.
LEO
Das Fasten ist eine Erfindung.
FROSCHAUER
Eine Lüge!
ZWINGLI
Nirgendwo in der Bibel steht, dass ihr hungern müsst.
Der Druckergehilfe scheint nicht überzeugt, doch Froschauer beginnt, die Würste aufzuschneiden. Dann reicht er Felix Manz ein Messer. Dieser spiesst in aller Ruhe ein Rädchen auf und legt es sich wie eine Hostie auf die Zunge.
MANZ
Und jetzt... - ist fertig damit!
Vielsagende, teils verwunderte Blicke. Manz zerkaut genüsslich sein Wursträdchen; einen Moment lang hört man nur sein Schmatzen. Dann greifen auch Leo und Froschauer zu und schauen aufmunternd in die Runde. Die Gesellen lassen sich nicht zweimal bitten: sie putzen sich die Finger und setzen sich auch an den Tisch.
Perplex schaut der Druckergehilfe zu, wie seine Arbeitskollegen mit den Messern die Wursträdchen aufspiessen und das Fleisch mit spitzbübischer Freude verspeisen. Rasch zieht er seine Schürze aus, wirft sie auf den Tisch und verlässt unter dem Gelächter seiner Kollegen die Werkstatt.
GESELLE
(ruft ihm nach)
Feigling!
Zwingli will ebenfalls ein Rädchen nehmen, aber Leo hält ihn zurück.
LEO
Mach dich nicht selber zur Zielscheibe.
Zwingli zögert. Manz und Grebel beobachten den Vorgang aufmerksam und registrieren, dass Zwingli schliesslich keine Wurst isst.
Unterdessen betritt die attraktive Magd wieder den Raum, um neue Bierkrüge zu bringen; Leo schaut ihr mit Stielaugen nach.
LEO
Verflucht! Warum hat Gott uns Pfaffen die Lust gegeben, wenn wir gar nicht dürfen...
ZWINGLI
Wer sagt das?
Die Männer horchen auf.
ZWINGLI
Lust ist das Natürlichste der Welt! Der Hengst springt auf jede Stute, die in der Nähe ist -
LEO
Hast du schon einmal einen Hengst im Talar gesehen?
Die Runde lacht.
ZWINGLI
Auch das Zölibat ist eine Erfindung, eine Lüge. Es gibt keine Stelle in der Bibel, die sagt, dass Priester keine Frauen haben dürfen.
LEO
Das müsste man mal dem Papst sagen.
ZWINGLI
«Ein Bischof muss ohne Tadel sein: der Mann einer einzigen Frau, nüchtern, besonnen, massvoll, gast-freundlich und ein begabter Lehrer.» - Erster Timotheus-brief.
LEO
(gespielt gequält)
Da haben wir’s: der Mann einer einzigen Frau...
Die Runde lacht wieder.